Was ist nur aus uns Deutschen geworden? Waren wir nicht mal die Autofahrer-Nation schlechthin?

Die hat Helden, wie Fritz B. Busch selig hervorgebracht, in dessen Adern Benzin zirkulierte, und der in „Auto, Motor und Sport“ eine Serie über Autos schrieb „für Männer, die Pfeife rauchen“.
Sie hieß nicht: „für Männer, die Pfeifen sind“!

Als ich geboren wurde, rollten Legenden aus den Produktionshallen, wie Mercedes-Benz 300 SL, Ferrari 250 GT, Maserati 3500 GT, BMW 507 und noch andere Jahrhundertschönheiten, die einem nur vom Hinsehen das Blut in Wallung brachten. Live erleben konnten sie wenige, aber geträumt davon haben fast alle. Nach den Schrecken und Wirren des Krieges sah man lieber nach vorn, als zurück und freute sich über schöne Dinge, die es wieder gab, und die Freiheit, die man hatte. Ein Land blühte wieder auf - in einem unglaublichen Vorwärtsdrang!
Auch die Autos für die einfacheren Leute, die sich überhaupt eines leisten konnten, hatten viele Stilelemente („Design“ gab es damals bei uns noch nicht) dieser Ikonen der internationalen Ingenieurskunst aufzuweisen. Denn man wollte sich natürlich auch ein bisschen im Abglanz des technisch Möglichen sonnen. Die Träume waren klar strukturiert. Man wollte ein Häuschen haben und so ein Auto, das den Nachbarn mal eben richtig die Augen verdreht. Und natürlich wollte man auch fahren, wie die Herrenfahrer. Sportlich, überlegen, schnell! Alle wollten das – nicht nur ein paar „Raser“.
Damals kursierten unzählige Witze über langsame, behäbige, steife und etwas trottelige Autofahrer, die ganze Kolonnen hinter sich herzogen, sich nicht überholen trauten, oder einfach anderen im Weg standen. (Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen einer Autoschlange und einer Giftschlange?“ - „Bei der Autoschlange ist das Arschloch vorne!“)
Niemand wollte in diesem Sinne gerne zum Zielobjekt des allgemeinen Spotts und am Stammtisch, der gemächlichen Fraktion zugeordnet werden. Also mühte man sich redlich, mit den gebotenen Mitteln flott und souverän voran zu kommen, um keinesfalls als rollendes Hindernis an den Pranger gestellt, oder noch schlimmer: Unbarmherzig mir einer Frau am Steuer verglichen zu werden.
Die zeitgenössischen Verkehrsmittel waren allerdings mit wesentlich mehr Tücke, als mit Verkehrssicherheit gesegnet, und um damit schnell zu sein, musste man über ein wirklich gut funktionierendes „Popometer“ verfügen. Wenn es da mal instabil wurde, half einem nichts mehr!
Markenkollegen grüßten sich gerne per Handzeichen oder Lichthupe (falls schon verfügbar). An der Tankstelle, wo der Sprit im Verhältnis zum Einkommen noch teurer war, als heute, unterhielt man sich leidenschaftlich über die erlebten Abenteuer. Es galt als überaus ehrenvoll, sich gegenseitig zu helfen und es gab sogar eine metallene Plakette zum Anschrauben ans Auto, mit dem sogenannte „Kavaliere der Straße“ ausgezeichnet wurden.
Tja, alles lange her und manche von Euch werden glauben, ich hätte das alles aus einem alten Heimatfilm. Und doch war es Realität. Wer einmal das Buch von Karl Kling „Jagd nach dem Sieg“ mit der gebührenden Inbrunst gelesen hat, wird garantiert niemals in seinem Leben auch nur ein einziges Mal mit 100 km/h die linke Autobahnspur blockieren, oder auf der kurvigen Landstraße zehn Autos hinter sich halten (wenn er nicht gerade eine Markenclubausfahrt anführt), da wette ich.
Und nun sitze ich da und lese in einem Markenforum für automobile Meisterwerke von heute mit raketengleichem Beschleunigungsvermögen und atemberaubenden Fahrleistungen, gepaart mit Sicherheitsreserven, die so einem alten Herrenfahrer glatt den Verstand geraubt hätten, dass manche Protagonisten ihren 400-PS-Geschossen selten mehr als 10 Liter Sprit auf 100 km bleierner Trägheit gönnen. Da macht sich Verwunderung breit. Nicht, dass ich Sparsamkeit verwerflich fände; aber ich frage mich, wozu solche Autos gebaut und warum sie gekauft werden.
Jeden Tag fahre ich in München durch einen Tunnel, der vermutlich als das sicherste Straßenstück der ganzen Welt gelten kann und auf überwachte 60 km/h reduziert ist (ab 80 kostet es was).
Aber die Meisten fahren dort ohne Not demonstrativ einhellig mit 40 bis 50 km/h. Sobald man eine Lücke erspäht, und sich (mit dem Ziel, 70 zu fahren) vorbei mogeln möchte, zieht einer raus und setzt sich vor Dich, ohne schneller zu fahren, als sein Nachbar. Immer! Und auf allen Autobahnen wird, wann immer es sich einrichten lässt, zu dritt oder zu viert nebeneinander möglichst die gleiche Geschwindigkeit gefahren. Oder gleich nur links.
Oberstes Ziel dabei ist stets, die Geblockten wissen zu lassen, dass man genau weiß, was gut für sie und das Allgemeinwohl ist. Am liebsten hätten diese Leute wohl ein Sortiment Verkehrsschilder bei sich im Wagen, das sie dann den Vortritt Begehrenden jederzeit demonstrativ zeigen könnten.
Man fährt nicht mehr mit Herz und Verstand, sondern mit Zeigefinger (manchmal auch Mittel-...) und Betonkopf.
Schade! Heute hätten wir die Verkehrsmittel, die alle unsere früheren Träume weit übertreffen. Aber leider nicht mehr den großen Geist des „Leben und Leben-lassens“.
Sicher: Schnellfahren ist gefährlich, keine Frage! Zwar längst nicht mehr so gefährlich, wie zu jener Zeit sogar das Langsamfahren, aber immerhin können nach wie vor noch Unbeteiligte zu Schaden kommen. Gleiches gilt für verschiedene Sportarten, die heute dennoch sehr beliebt sind und für das Abschießen von Silvesterraketen. Dennoch ist dies nicht verpönt, weil man den Erlebnisgehalt und das damit verbundene Hochgefühl über das Risiko stellt, ohne das im Leben nun mal nichts erobert werden kann. Schon gar nicht die Freiheit.
Vielleicht sollten wir mal auch beim Autofahren mal wieder ein bisschen von unserem verbohrten Sendungsbewusstsein abrücken und uns „mit dem Herz in der Hand“ (man denke an 2006!) einfach ein bisschen „die Bälle zuspielen“. Warum nicht mal dem Nachbarn das Vertrauen zollen, dass er schon wissen wird, was er tut, und einräumen, dass es nicht unsere Aufgabe ist, ihm unsere Einschätzung aufzuoktroyieren.
Einen Schnelleren auf der Straße vorbei zu lassen und einem Überholenden Platz zu machen, das sind Gesten, die uns mittlerweile fast so schwer fallen, wie einem Ladendieb die Tür aufzuhalten.
Lasst uns nicht wieder zu Marschierern werden, die anderen Sterne ans Gewand nähen, dumpf im Gleichschritt Befehle ausführen, ohne das Schritt- und Augenmaß den Gegebenheiten anzupassen. Lasst uns ein bisschen wie Kinder „hüpfen und springen“ und die Kurven in harmonischem Rhythmus und in idealer Linie nehmen, nicht nur, weil wir angeblich grad irgendwo hin „müssen“, sondern einfach, weil sie da und weil sie schön sind, wie unsere Autos und unsere Seele, wenn sie frei schwingen kann.
